Das Atelier "in dä stückä"
die Geschichte
Einst Schulhaus, jetzt Kunstort
Es fällt auf: Das schwedenrot leuchtende Haus „in dä Stückä“ im Dischmatal. Das einst schlicht-graue Gebäude entstand vor fünfzig Jahren als Schulhaus für die Dischma-Schulkinder. Es wurde jedoch nur während weniger Jahre genutzt. 2009 konnte es Kunstmalerin Ruth Senn von der Gemeinde Davos käuflich erwerben und zum Atelierhaus umbauen. Bereits heute plant sie die Zukunft ihrer Kunstoase.
Schulhaus zu verkaufen
Angefangen habe alles im November 2008. Damals habe sie dringend ein neues Atelier gesucht, erzählt Ruth Senn. Wegen Neubauplänen der Eigentümerschaft war ihr am bisherigen Standort gekündigt worden. Malermeister Rudi Egerer, während 26 Jahren Mieter des alten Schulhauses Dischma, habe von ihrer Suche gehört. Eines Tages habe er sie gefragt, ob sie Nachmieterin in der Dischma-Liegenschaft werden wolle. Er wolle sich betrieblich neu organisieren.
Ruth Senn war sofort interessiert und erkundigte sich bei der Gemeinde Davos, der Eigentümerin des früheren Schulhauses im Dischma, ob sie als neue Mieterin genehm wäre. „Zu meiner Überraschung bot man mir gleich den Kauf des Hauses an.“ Der Schätzpreis erschien ihr akzeptabel, obwohl die Liegenschaft mit einem Grundriss von 95 Quadratmetern und wenig Umschwung recht klein war. Ausserdem war seit dem Bau in den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts nichts erneuert worden. Doch bis zur Vertragsunterzeichnung dauerte es dann noch eine Weile. „Korrekterweise musste die Gemeinde Davos das Objekt erst öffentlich ausschreiben“, so Ruth Senn. „Es gab mehrere Interessenten.“ Alle wünschten sich ein Ferienhaus. Doch wegen Lawinengefahr „in dä Stückä“ war das nicht zulässig. „Ich war die einzige, die das alte Schulhaus gewerblich, als Atelier, nutzen wollte.“ Und so wurde die seit 1996 in Davos ansässige, konkret-konstruktive Kunstmalerin glückliche, neue Besitzerin des einstigen Schulhauses im Dischma.
Stiftung für Kunstschaffende
Unterstützt von befreundeten Handwerken und dem pensionierten Architekten Max Berthoud wurde der Umbau zwischen Ostern und Oktober 2009 realisiert. Aus der „grauen Maus“ am steilen Hang wurde innert weniger Monate ein Architekturakzent in leuchtend roter Holzverkleidung mit Steingärtchen inmitten des grünen Dischmatals – eine frappante Verwandlung, die für die Nachbarschaft allerdings ziemlich gewöhnungsbedürftig gewesen sei, wie Ruth Senn schmunzelnd meint. Jetzt aber sei ihr rotes Haus akzeptiert. Sie selbst ist glücklich: „Endlich sind meine zwei weiss gestrichenen Innenräume hoch und luftig.“ Denn glücklicherweise habe man die alten Zwischendecken problemlos entfernen können. „Jetzt habe ich Luft zum Atmen und Arbeiten!“
Ruth Senn hat viel in in ihr neues Atelier investiert – Geld, Kreativität und Energie. „Natürlich stellte ich mir schon beim Kauf die Frage nach dem Sinn meines Unterfangens.“ Da die 1944 geborene, inzwischen verwitwete Kunstmalerin ohne Nachkommen ist, möchte sie bereits zu Lebzeiten sicherstellen, dass ihr Atelier auch später noch sinnvoll genutzt wird. „Ich werde eine Stiftung gründen und die Liegenschaft sowie meine Bilder als Sacheinlage einbringen.“ Stiftungszweck: Jeweils ein halbes Jahr lang soll ein Künstler, eine Künstlerin mit Mitgliedschaft bei „Visarte“ (Schweizer Berufsverband der visuell arbeitenden Künstlerinnen und Künstler) das Atelierhaus im Dischma zum Arbeiten nutzen dürfen. Diese Regelung biete Gewähr für professionelles Kunstschaffen. „Die Begünstigten werden vom Stiftungsrat gemäss Reglement ausgewählt.“ Finanzieren wird sich die Stiftung aus dem Verkaufserlös von Ruth Senns Bildern.
Die Malerin wünscht sich, dass die im Dischma-Stage entstandenen Kunstwerke in Davos ausgestellt und öffentlich gezeigt werden. „Ich habe Kontakt mit einer bereits existierenden Davoser Kunst- und Kulturstiftung. Vielleicht gibt’s Kooperationsmöglichkeiten.“ So oder so: Das rote Haus setzt wegen seiner strahlenden Farbe nicht nur optisch einen kräftigen Akzent. Dank der von Ruth Senn geplanten Nutzung als Kunstort wird es auch kulturell besondere Strahlkraft entfalten.
So war`s einmal…
Ruth Senn hat Erinnerungen an die früheren Dischma-Schulhäuser zusammen getragen. Etwas wusste sie selbst: „Cuonz Buol aus Glaris, der Vater meiner Freundin und spätere Seminardirektor in Chur, amtete im 2. Weltkrieg als Lehrer im ersten Schulhaus im Dischma.“ Nachbarn erzählten, dass im Lawinenwinter 1951 eine Lawine das Plumps-Klo am ersten Dischma-Schulhauses wegfegte. Daraufhin sei im Schutz des Hangs auf der anderen Strassenseite rasch ein lawinensicherer Neubau erstellt worden. Doch nach dem Schulhausbau in Davos Dorf mussten die Kinder aus dem Dischma ebenfalls dort zur Schule gehen und lange Schulwege auf sich nehmen. Das neuere Dischma-Schulhaus wurde zur Webstube für Bäuerinnen. Später war es 26 Jahre an den Malerbetrieb Egerer vermietet.
Text Aus der Davoser Zeitung von Marianne Frey-Hauser